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NSU: Innenminister Gall berichtet im Innenausschuss

Veröffentlicht in Landespolitik

Die intensiven Strukturermittlungen der im Januar 2013 vom Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg eingesetzten Ermittlungsgruppe (EG) Umfeld sind weitgehend abgeschlossen. „Diese Arbeit, die kein anderes Bundesland in diesem Umfang und dieser Tiefe geleistet hat, konnte die Bezüge des Nationalsozialistischen Untergrunds zu Baden-Württemberg in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich aufhellen“, erklärte Innenminister Reinhold Gall heute in der 19. Sitzung des Innenausschusses im Landtag. Damit lägen die wesentlichen Erkenntnisse für die Bewertung der grundsätzlichen Fragen zum NSU-Komplex nunmehr vor.

Demnach hätten sich die Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) vor ihrem Untertauchen zu privaten Festen und womöglich danach bis 2001 mehrfach bei Gesinnungsgenossen in Ludwigsburg aufgehalten – also weit vor dem Heilbronner Polizistenmord. Zum Tatgeschehen in Heilbronn seien durch die Ermittlungen der EG Umfeld keine weiteren belastbaren Erkenntnisse bekannt geworden. Ob ein Aufenthalt in Stuttgart 2003 weiteren Anschlagsplanungen und Tatvorbereitungen diente, sei nicht zweifelsfrei zu belegen.

Nach den bisherigen Ermittlungen der Sicherheitsbehörden in Baden- Württemberg habe das Trio in Baden-Württemberg keine weiteren Straftaten begangen, die bislang nicht dem Trio zugerechnet werden konnten. Es gebe bisher keine Hinweise auf mit dem NSU vergleichbare Netzwerke oder Zellen in Baden-Württemberg, betonte der Innenminister. Was mögliche Unterstützungshandlungen für den NSU von Personen aus Baden-Württemberg angeht, werden einzelne Spuren vom Generalbundesanwalt noch auf strafrechtliche Relevanz geprüft. Die EG Umfeld habe bei ihren akribischen Ermittlungen überdies weitere Gruppierungen des Ku Klux Klan aufgespürt, die nach vorliegenden Erkenntnissen aber keinen Bezug zum NSU hatten.

Minister Gall räumte ein, dass bei der Aufklärung des Heilbronner Polizistenmordes individuelle Fehlleistungen nicht von der Hand zu weisen seien – nicht nur der Einsatz verunreinigter Wattestäbchen und die Jagd nach einem Phantom. „Nach allem, was ich heute weiß, ist aber ein rechtsextremistischer Hintergrund bis November 2011 nicht zu erkennen gewesen“, hob er hervor.

In die gezielten Fahndungsmaßnahmen zwischen 1998 und 2003 in Thüringen und Sachsen seien die baden-württembergischen Sicherheitsbehörden nicht eingebunden gewesen. Dass das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) die Mitglieder des NSU bei Besuchen in Ludwigsburg nicht ins Visier bekam, sei auch auf eine unbefriedigende Quellenlage in diesem Raum zurückzuführen. Allerdings sei die sogenannte Garagenliste von Mundlos damals nicht an baden-württembergische Sicherheitsbehörden weitergeleitet worden. Insgesamt hätten diese mit Blick auf den NSU im Rahmen ihrer Möglichkeiten gehandelt.

Um derartige schlimme Taten künftig zu verhindern, müssten vor allem die Informationswege zwischen den Sicherheitsbehörden bundesweit verbessert werden. Einige Reformen seien bereits erfolgt, andere müssten noch von der neuen Bundesregierung umgesetzt werden. In Baden-Württemberg würden derzeit noch Arbeitsschwerpunkte und die Organisationsstruktur des Landesamtes für Verfassungsschutzes (LfV) überprüft und die parlamentarische Kontrolle verbessert, berichtete Innenminister Gall.

Im Einzelnen seien in Baden-Württemberg bereits folgende Lehren gezogen und Maßnahmen ergriffen worden:

  • Die Problematik um kontaminierte Wattestäbchen wurde intensiv aufgearbeitet und hatte bundesweit Konsequenzen für die kriminaltechnische Spurensicherung.
  • Die Auswertung von E-Mail-Konten ist bei Kapitaldelikten regelmäßig Bestandteil der umfangreichen Beweissicherung .
  • Aktuell wird die Führungs– und Einsatzanordnung „Sonderkommissionen Kriminalpolizei“ zur Anpassung von Ermittlungsstandards umgesetzt.
  • Die Waffenbehörden, Polizei und Verfassungsschutz haben alle bekannten Angehörigen der rechten Szene darauf überprüft, ob sie im legalen Besitz einer Waffe sind und ob ihnen dieser Besitz versagt werden kann. Der überprüfte Personenkreis umfasste rund 3.000 Personen.
  • Einrichtung einer gemeinsamen Informations- und Analysestelle (GIAS) von LfV und LKA. Sie soll die Informationsweitergabe garantieren, Schnittstellen schließen und die Zusammenarbeit unter Wahrung des Trennungsgebots verbessern.
  • Einführung eines anonymen Hinweisaufnahmesystems.
  • Personelle Verstärkung der Beratungs- und Interventionsgruppe gegen Rechtsextremismus (BIG Rex) beim LKA.
  • Verstärkung des Bereichs Rechtsextremismus beim LfV durch Personalumschichtung und eine entsprechend weiterentwickelte Dienstvorschrift zu Standards für Vertrauenspersonen (VP) und Einrichtung einer zentralen VP-Datei.
  • Intensivierung der Internet-Beobachtung und der wissenschaftlichen Analyse im Bereich Rechtsextremismus beim LfV.
  • Der Bund wird beim Aufbau einer bundesweiten VP-Datei im Verfassungsschutz-Verbund unterstützt.

Auf Bundesebene nannte Innenminister Gall folgende Verbesserungen:

  • Einrichtung des Gemeinsamen Abwehrzentrums für Extremismus und Terrorismus-Rechts (GETZ-R) sowie die Koordinierte Internetauswertung Rechtsextremismus (KIAR), die unabhängig von Zuständigkeitsgrenzen das gesamte Netz auswertet.
  • Seit 2012 steht bundesweit die zentrale Rechtsextremismusdatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten von Bund und Ländern zur Bekämpfung des gewaltbezogenen Rechtsextremismus.
  • Ferner hat der Verfassungsschutz das Nachrichtendienstliche Informationssystem NADIS WN eingerichtet, so auch das LfV Baden-Württemberg.

Die Bilanz unter der Lupe

Der Innenminister wies darauf hin, dass in der EG Umfeld mit Unterstützung durch die Landespolizei 19 Beamtinnen und Beamte, seit Anfang 2014 seien es noch 14, Bezüge des NSU und dessen Umfeld zu Personen aus Baden-Württemberg untersucht und damalige und aktuelle Strukturen der rechten Szene beleuchtet habe – „über das hinaus, was den Generalbundesanwalt im strafrechtlichen Sinne interessiert“. Daneben würden aber auch Ersuchen und Spuren des Bundeskriminalamts (BKA) aus den Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts (GBA) mit Anhaltspunkten für Baden-Württemberg bearbeitet.

Der Minister präsentierte den Abgeordneten eine Bilanz der EG Umfeld, aber auch der Aufarbeitung der NSU-Morde durch das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV). „Den zuständigen Ausschüssen des Landtags habe ich einen umfassenden Bericht zugesagt, jetzt liegt dieser vor“, sagte der Minister. Er wies zugleich darauf hin, dass die EG Umfeld keine eigenständigen strafrechtlichen Ermittlungen zum Mordfall Heilbronn durchführe.

Die EG Umfeld sei Hinweisen und Ansatzpunkten – und seien sie noch so weit hergeholt - mit hoher Akribie und nach bestem Wissen nachgegangen.

  • Über 500 bereits erfasste Spuren der EG Rechts und des RegEA BW und die daraus gewonnenen Erkenntnisse seien erneut bewertet worden (Spurencontrolling).
  • Über 180 (Neu)Spuren seien durch die EG Umfeld zusätzlich erfasst worden. Der Großteil dieser Spuren (über 150) sei abgearbeitet.
  • Ferner seien bislang 260 Maßnahmen veranlasst worden, darunter vor allem Befragungen und Auswertungen; über 230 Maßnahmen seien bereits abgeschlossen.

Der Innenminister wies darauf hin, dass im laufenden Ermittlungsverfahren des GBA noch nicht alle Baden-Württemberg betreffenden Spuren, die mögliche Hinweise auf Unterstützungshandlungen für den NSU enthalten, ausermittelt seien. So lange könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass weitere Personen aus BW Beschuldigte im GBA-Verfahren werden. Darüber habe er dem Innenausschuss heute in nicht-öffentlicher Sitzung vertieft berichtet.

Konkrete Hinweise der zuständigen Behörden in Thüringen, wonach sich das Trio in Baden-Württemberg aufhalte oder Anlaufstellen in Baden-Württemberg habe, und die Anlass für ein entsprechendes Fahndungsersuchen oder -maßnahmen hätten sein können, seien nicht an badenwürttembergische Sicherheitsbehörden gerichtet worden. Den badenwürttembergischen Sicherheitsbehörden hätten solche Hinweise auch nicht vorgelegen.

Die 1998 nach dem Abtauchen des Trios aufgefundene sogenannte Telefonliste Mundlos, welche Umfeld- und Kontaktpersonen von Mundlos in den neunziger Jahren vor dessen Abtauchen enthält, sei dem LKA erst am 30. Mai 2012 vom Bundeskriminalamt (BKA) im Rahmen der zugewiesenen Spurensachbearbeitung übermittelt worden. Diese Liste enthält vier Personen, die in Baden-Württemberg (zeitweise) ihren Wohnsitz hatten. Dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) BW sei diese Liste erstmals vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) am 28. Januar 2013 übermittelt worden.

Die bisherigen Ermittlungen der EG Umfeld hätten die Verbindungen der rechtsextremen Szene aus Ostdeutschland, insbesondere Thüringen und Sachsen, mit Gleichgesinnten aus Baden-Württemberg, besonders aus den Räumen Ludwigsburg, Waiblingen, Heilbronn und Stuttgart, deutlich aufgehellt. Diese manifestierten sich vor allem in gegenseitigen Besuchen zu privaten Festen.

Es hätten keine Hinweise auf mit dem NSU vergleichbare Netzwerke oder Zellen in Baden-Württemberg erlangt werden können, unterstrich Innenminister Gall. Auch lägen keine Erkenntnisse vor, wonach das Trio bei (verdachts- und ereignisunabhängigen) Kontrollen in Baden-Württemberg angetroffen wurde. Die bisherigen Ermittlungen der Sicherheitsbehörden in Baden-Württemberg hätten keinen Nachweis erbringen können, dass

  • das Trio in Baden-Württemberg weitere Straftaten begangen habe, die bislang nicht dem Trio zugerechnet werden konnten,
  • in Baden-Württemberg ein Netzwerk des Trios bestanden habe, welches das Trio beim Leben im Untergrund (ab 1998 bis 2011) unterstützt hätte,
  • Personen aus Baden-Württemberg strafbare Unterstützungshandlungen beim Untertauchen des Trios begangen hätten.

Über die beim BKA vorliegenden Erkenntnisse zum mutmaßlichen Aufenthalt des Trios beziehungsweise von Böhnhardt und Mundlos beim Heilbronner Polizistenmord im Jahr 2007 hinaus seien durch die Ermittlungen der EG Umfeld keine weiteren belastbaren Erkenntnisse zum Tatgeschehen bekannt geworden.

Die genaue Anzahl der Besuche des Trios beziehungsweise einzelner Personen des Trios in Ludwigsburg sei nicht zu verifizieren, jedoch habe es laut Zeugenaussagen vor allem von 1993 bis 1996 wiederholte Aufenthalte des Trios in Ludwigsburg gegeben. Nach lediglich einer Zeugenaussage sei das Trio beziehungsweise Teile des Trios ab Frühjahr 1993 bis Anfang 2001 in circa 30 Fällen in Ludwigsburg zu Besuch gewesen. Davon hätten allerdings nur acht Besuche durch die Ermittlungen konkretisiert werden können.

Der Aufenthalt des kompletten Trios in Ludwigsburg sei in einem einzigen Fall zu belegen, und zwar beim Besuch an Ostern 1996. Nach den Schilderungen einer Zeugin soll es zwischen 1998 bis Jahresbeginn 2001 zu weiteren Besuchen gekommen sein. Genaueres sei nicht zu belegen, berichtete Minister Gall.

Ob ein Aufenthalt von Böhnhardt und Mundlos 2003 in Stuttgart im Zusammenhang mit den im Brandschutt festgestellten Stadtplänen mit Markierungen und einem Foto von Böhnhardt in der Nordbahnhofstraße weiteren Anschlagsplanungen und Tatvorbereitungen gedient habe, sei auch nach Auswertung aller vorliegenden Spuren nicht zweifelsfrei zu belegen. Weitere Ermittlungsansätze stünden den baden-württembergischen Sicherheitsbehörden derzeit nicht zur Verfügung.

Mit Blick auf die knapp 1.000 Objekte in Baden-Württemberg, die auf der sogenannten 10.000er-Liste aufgeführt werden, seien keine weiteren Tatvorbereitungen festzustellen. Ermittlungen deuteten auf eine zum Teil wahllose Sammlung, möglicherweise unter Nutzung des Internets, besonders von Objekten der CDU und der SPD sowie islamischer und türkischer Einrichtungen hin. Den baden-württembergischen Sicherheitsbehörden ergäben sich diesbezüglich aktuell keine weiteren Ermittlungsansätze. Es seien keine Verbindungen der Örtlichkeiten zu ungeklärten Tötungs- beziehungsweise Raubdelikten festzustellen.

J. W. und T. S. seien Führungspersonen bei Blood & Honour in Sachsen gewesen. Mit Ausnahme eines Beschuldigten im Ermittlungsverfahren des GBA/BKA hätten weder Unterstützungshandlungen für den NSU von B&HMitgliedern aus Baden-Württemberg, noch direkte Kontakte zum Trio festgestellt werden können.

Eine Beteiligung der aus Baden-Württemberg stammenden Rechtsrockband „Noie Werte“ an der Auswahl ihrer beiden Lieder „Kraft für Deutschland“ und „Am Puls der Zeit“ für ein nichtveröffentlichtes NSU-Bekennervideo habe nicht nachgewiesen werden können. Dass ein persönlicher Kontakt der Bandmitglieder zum Trio bestand, lasse sich bisher nicht belegen.

Bei mehreren Kontaktpersonen des Trios seien Wohnungsumzüge nach Baden-Württemberg beziehungsweise aus Baden-Württemberg nach Thüringen/ Sachsen festzustellen gewesen. Ein Zusammenhang zwischen den Umzügen und dem Abtauchen des Trios sei nicht zu belegen.

Ein direkter Bezug von KKK-Strukturen in Baden-Württemberg zum NSU habe nach vorliegenden Erkenntnissen nicht bestanden. Durch die Ermittlungen der EG Umfeld seien strafbare Handlungen durch einzelne KKK-Klans nicht bekannt geworden.


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